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7. Folksfest 21.-23.Juni 2002

Europas lebendige Volksmusik
23. EBU Folk Festival

 

Die Bands

Rockband Bal des Boiteux Foto

Bal des Boiteux
VRT, Belgien

Die Rockband "Einstürzende Neubauten" finden sie gut, und dabei spielen sie selbst Instrumente, wie sie traditioneller nicht sein können: selbst beim Akkordeon wählt Joris das einfache diatonische Kistchen. Das Ethnocamp im schwedischen Falun, wo ganz junge Leute drei Wochen nichts anderes tun, als sich gegenseitig vor- und dann auch zusammenzuspielen, hat sie beflügelt. Das Wort "Hinken" in ihrem Namen hat seinen Grund: An der Oberfläche meint man, typisch flämische Volkstanzmusik zu hören – wer danach tanzt, muss mit Quetschungen an den Füßen rechnen. Ihre modernen, sich überlagernden, sich auftürmenden und überraschend wendenden Rhythmen kommen nicht aus der Fusion mit irgendwelchen fremden Stilen, sondern durch die intensive Befragung der flämischen Tradition. Auf ihre erste CD wartet die ganze flämische Szene, und vielleicht auch bald das Möllner Publikum ...

 

Bruvoll / Halvorsen
NRK, Norwegen

Band Bruvoll / Halvorsen Foto

Als die Norweger ein einheitliches Gesangbuch und auch in den abgelegeneren Kirchen Orgeln bekommen sollten, gab es einen kleinen Aufstand: Der Kirchengesang hatte im Land der weit verstreuten Siedlungen ganz eigene lokale Ausprägungen und sogar spezielle, sonst ungebräuchliche Skalen, die den mitteltönigen oder modern temperierten Orgeln einfach nicht anzupassen waren. Wenn Jon Anders Halvorsen Psalmen, mittelalterliche Balladen oder auch rhythmische Tanzlieder singt, lässt sich etwas von den Gründen dieses Streits erahnen.
Die beiden Norweger repräsentieren die stille, gedankenvolle Seite der zeitgenössischen Volksmusik. Ihre Lieder passen in die Clubs ebenso wie in die Kirche. Jon Anders Halvorsen hat die Tradition seiner Heimatregion Telemark von alten Sängern, in Archiven und in der Ole-Bull-Akademie von Voss, der wichtigsten Ausbildungsstätte für norwegische Volksmusik, studiert. Der Gitarrist Tore Bruvoll stammt aus Tromsø und ist unter Jazzern wie Volksmusikanten ein gleichermaßen gesuchter Partner, der nur scheinbar hinter seine Mitspieler zurücktritt. Sein sparsames, doch punktgenaues Spiel zitiert den Stil der norwegischen Zither Langeleik ebenso wie den Blues des Mississippi-Deltas.

Männer-Vokalgruppe Klapa Cambi Foto

Klapa Cambi
HRT, Kroatien

Vom Wein, von Land und Meer wurde an der dalmatinischen Küste Kroatiens schon immer gesungen, spontan in den Kaffeehäusern und Weinstuben, später dann auch organisiert in einer "Klapa", einer Männer-Vokalgruppe. "Cambi" ist der Name eines kroatischen Adelsgeschlechts, auf dessen Schloss heute Sängertreffen und Wettbewerbe der besten Gruppen stattfinden. Die haben es allerdings inzwischen schwer, denn Klapa Cambi räumte in den letzten Jahren die Preise und Ehrungen nur so ab. Ihr Leiter Rajimir Kraljevic bearbeitet für sie Volkslieder und Popsongs – ihre Konzerte sind ein wahrhaftes Cross over, und wo immer sie auftreten, kann sich das Publikum dem Charme des ersten Tenors Spiro Juric und der übrigen Sänger nicht entziehen. Jüngst wurde die Gruppe für ihren Beitrag zur kroatischen Kulturszene ausgezeichnet.

Lecker Sachen unplugged Foto

Lecker Sachen unplugged
featuring Da Gangsta String Trio Deutschland

Lecker Sachen kommen aus Köln nach Mölln. Ihr erstes Konzert spielten sie im Januar 1997, und seitdem wissen die Folkanhänger ab und an nicht, warum sie zu einem HipHop-Konzert gehen, und die HipHop-Leute nicht, warum sie in ein Folkkonzert geraten sind. Am Ende werden dann im Publikum die Strickpullover und Reebok-Kapuzenshirts getauscht, denn die einmalige Mischung von fett-groovendem deutschem HipPop und sanft oder fetzig in Herz und Beine gehendem Irish Folk stimmt. Wenn da jemals Grenzen waren, so spürt man sie nicht mehr. Wie sagen sie selbst: "Wenn die Dubliners in den 80ern geboren worden wären, hätten sie die Chance gehabt, so cool rüberzukommen wie wir... Pech gehabt!"
Und in Mölln haben sie dann noch, dem Anlass eines Folksfestes angemessen, ein kleines Sinfonieorchester dabei, so dass die intimen Streicheleinheiten dreier Streicher das Publikum zusätzlich in den Bann ziehen werden.

 

Música Nostra
Balearen

Band Música Nostra Foto

Das Septett von der Deutschen liebster Urlaubsinsel wurde vor etwa 20 Jahren gegründet mit dem Ziel, die mallorquinische Musik und ihre Aufführungspraxis zu erhalten und bekannt zu machen. Dies tun die sieben Musiker mit großem Erfolg, sowohl bei sich zu Hause als auch außerhalb Mallorcas. Mit Idealismus und Energie pflegen sie den musikalischen Aspekt ihrer Kultur auf Festivals, in Konzerten und auf Tanzfesten. Wie überall im Bereich traditioneller Musik in Europa üblich, beleben sie Lied und Folklore durch eigene Kreationen und Neubearbeitungen, wobei sie das traditionelle Instrumentarium behutsam erweitern, ohne dass jedoch die Wurzeln und die typischen Klangfarben mallorquinischer Musik überdeckt würden.
Der Auftritt dieser Gruppe wurde möglich durch die freundliche Unterstützung des balearischen Kultusministeriums. Música Nostra reist extra für das Festivalkonzert an. – Eine einmalige Gelegenheit für das norddeutsche Publikum, mallorquinische Traditionen live zu erleben.

 

Naked Raven
Australien

Naked Raven Foto

"Musik für das innere Outback" – "... so schön, so klar, dass es schon ein bisschen weh tut." – Die deutschen Journalisten geraten ins Schwelgen und laufen zu poetischer Hochform auf, wenn sie die Musik der fünf jungen Australier beschreiben sollen. Das fällt auf und spricht sich herum, und so avancierte die Band im letzten europäischen Festivalsommer zu weit mehr als einem Geheimtipp. Intelligentes Songwriting gepaart mit virtuosem Zusammenspiel von akustischer Gitarre, klassischen Streichinstrumenten und filigraner Percussion. Pop, Jazz und Folk – alles kann man in dieser Musik entdecken, wenn man denn will, oder man genießt ganz einfach. - Wie schrieb doch einer der Jounalisten? "Etwas für Ohr, Auge und Seele ...".

 

Netlenka & Ethnica Music Project Foto

Netlenka & Ethnica Music Project
Radio Mayak, Russland

Auch in Moskau gibt es eine neue Volksmusik, die sich speziell an die junge Generation wendet: die russische Sängerin Netlenka und ihr Musikprojekt "Ethnica" haben im vergangenen Jahr den großen Preis eines Moskauer Festivals für junge Leute eingeheimst.
Eigentlich wollte sie russische, türkische und irische Musik machen, und zwar akustisch – das Klangbild ihres Projekts, in dem immer unterschiedliche Musiker zusammenwirken, hat sich inzwischen gewandelt: Zu dem typisch russischen Stimmklang, den sie schon in verschiedenen Folklore-Ensembles praktiziert hatte, kommen jetzt auch Loops aus dem Computer.

 

Nordlichter Big Band
DeutschlandRadio Berlin

Nordlichter Big Band Foto

"Von Pommern bis Nederland" – der knorrige Eichbaum, der die niederdeutsche Sprache symbolisiert, trennt Norddeutschland zugleich vom Rest der Welt, der sich immer noch von einem antiken Autor einreden lässt, dass er bei den Feldzügen die Einheimischen nicht habe singen hören ("Frisia non cantat").
Die Friesen waren allerdings nicht blöd genug, in Hörweite des Feindes und Besatzers zu singen. Heute jedenfalls können sie es perfekt und tun es vornehmlich auf Platt. Schweriner, Flensburger, Kieler, Emdener, Hamburger und sogar Berliner Folkmusikerinnen und -musiker, also "Schmelztiegel", "Die Mollies", "Vinkoop" und ein paar Versprengte, haben sich fast gewaltlos ergeben und spielen zusammen für DeutschlandRadio Berlin, denn irgendwann kommt er ja doch, der Nordstaat ... und dann wird Europa noch staunen!

Pavla Milcová & Peter Binder Foto

Pavla Milcová & Peter Binder
Cesky Rozhlas, Tschechien

An fast jedem ersten Dienstag des Monats kann man Pavla Milcová im Jazzclub Zelezná in Prag treffen, wo sie am liebsten mit dem Gitarristen Peter Binder, oft aber auch mit weiteren Gästen auftritt. Sie ist in das Liedermachen verliebt, in die schottische Sprache und Kultur, und hat für das Prager Nationaltheater die Bühnenmusik zu James Joyces "The Exiles" geschrieben. Naiv und durchtrieben, tschechisch und englisch sind ihre Lieder, und das neue Album könnte "Sorry für die schlechten Nachrichten von der Erde" heißen.

Pole Pole Foto

Pole Pole
Yleisradio, Finnland

"Langsam, aber sicher" – das ist die Übersetzung von Pole Pole. Vielleicht ist es auch das Lebensmotto von Arnold Chiwalala, der seine Studien an der berühmten Bagamoyo-Kunstschule in Tansania begonnen hat, dann als Student an die Sibeliusakademie kam und dort inzwischen Ensemblespiel unterrichtet. Einer seiner Schüler, Topi Korhonen, gibt ihm ein ausgesprochen afrikanisch wirkendes Unterfutter auf der europäischen Gitarre, während Arnold Chiwalala seinen ostafrikanischen Gesang mit der finnischen Kantele, einer Zither, begleitet. Seine freundlichen Lieder erzählen davon, wie man leben soll, egal, ob in Finnland oder Tansania.

 

Schäl Sick Brass Band
Westdeutscher Rundfunk, Deutschland

Schäl Sick Brass Band Foto

Wann hat es das schon mal gegeben, dass die Juroren der World Music Charts Europe, die gerade den europäischen Musiken stets weniger Kredit einräumen als denen von weiter her, ausgerechnet einer deutschen Band ihre Stimme geben, und zwar gleich für Platz 3?
Seit zehn Jahre verunsichert die Band die Szene mit der Frage, ob es denn diese abenteuerliche Mischung geben darf. Vom rechten Rheinufer, der "schälen" Seite, kommen sie nach 1998 zum zweiten Mal zum Folksfest nach Mölln und haben neben der bulgarischen Sängerin Ivanka weitere Überraschungen aus dem multikulturellen Köln parat. Das Publikum liebt ihr Chaos und hat auf die neue CD heftig gewartet. Blasmusik gehört eben doch zum deutschen Folk!

Terra Folk Foto

Terra Folk
RTV, Slovenien

Klezmer? Russisch? Klassisch? Jazz? Balkan? Irisch? Nichts, was nicht geht bei dem verrückten Quartett aus Ljubljana. Eigentlich sind sie nur drei, die einzeln und in anderen Formationen schon viele CDs gemacht haben, einer im Orchestergraben der Oper, einer im Armeeorchester, einer ist gar new-age-verdächtig. Man darf gespannt sein, ob auch diesmal der besondere Gast der letzten Tourneen, die sie vor allem nach England geführt haben, mit dabei sein wird, der bekannte Jazzbassist Ziga Golob. Ihre Live-CD zeigt, dass ihre skurrile Interpretation das Publikum zu eigenen Aktionen anregt: Haltet Euch bereit, Möllner, Möllnerinnen und Gäste, nutzt die Chance, europaweit hörbar zu werden!

 

Tolhaje
Polskie Radio SA, Polen

Tolhaje Foto

Nicht nur Füchse sagen sich 'Gute Nacht’, sondern buchstäblich Wölfe und Bären im südöstlichsten Zipfel von Polen, im Bieszczady-Gebirge. Eine Jazzwerkstatt hatten junge Musiker im Kultur­zentrum von Ustrzyki gegründet. Dort waren Ruhe zum Arbeiten, eine unberührte Landschaft und lebendige Volksmusik zu finden, deren wichtigstes Prinzip wie im Jazz auch die Improvisation war: Die Musik der Goralen, der Bergbewohner. Der Sound der Hirtenflöten mit ihren geräuschhaften Klängen und die zündende Tanzmusik der Holzfäller und Hirten waren der Grundstock, mit dem die Jazzgruppe schließlich 2001 in den Wettbewerb "Nowa Tradycja" (neue Tradition) ging, einen Wettbewerb der jungen Gruppen, die die Traditionen der abgelegenen Dörfer einem jungen Publikum erschließen. Radio Warschau, das diesen immer interessanter werdenden Wettbewerb auslobt, entsendet die Preisträger dann zum EBU-Folk-Festival, so auch "Tolhaje", die im Jahre 2001 einen zweiten Preis gewonnen haben. Heute studieren die Bandmitglieder an den Musikhochschulen von Bydgoszcz, Katowice und Krakau, und finden sich dennoch immer mal in den Bieszczady, ihrer Heimatregion, bei Füchsen, Wölfen und Bären zusammen.

Women In Docs Foto

Women In Docs
ABC Radio National, Australien

Junge Frauen, befreit von den Hochhackigen, die zwar Türen öffnen, manchmal aber auch Fessel sein können; statt dessen in Schuhen, mit denen man sich behaupten kann, weil man die wirkliche Wahl hat, wegzulaufen oder zu treten: In der akustisch agierenden Szene Australiens sind die beiden neuen Brisbane-Ladies mit wilden Liedern über das Lebensgefühl junger, unabhängiger Frauen und derer, die sie beneiden, inzwischen zum Markenzeichen geworden. Mit E-Gitarre und Bass unterstützen sie ihre fantasievollen, mitunter auch aggressiven Texte – unterhaltsam und unbekümmert.

 

Zar
Dankmarks Radio, Dänemark

Zar Foto

"Ein kaltes Bier an einem heißen Sommertag" – klar, was den Schweden einfällt, wenn sie an den dänischen Nachbarn denken. Aber sie sind die Kenner, wenn es um die Erneuerung von Traditionen geht, und so hat dieses Urteil über die dänische Gruppe Zar sein besonderes Gewicht. 1996 taten sich zwei junge Volksmusikanten mit einem klassischen Gitarristen zusammen, zunächst als eine vielbestellte Tanzband, bald auch für Festival-Konzerte. Im letzten Sommer ist die Sängerin Sine Lahm mit ihren melancholischen Balladen dazugekommen. "Ihre Musik kommt direkt von der Quelle, der dänischen Volksmusik, doch eine gewisse Rauheit, Direktheit und das Bedürfnis, sich selbst auszudrücken, ist ausgesprochen gegenwärtig. Die Gruppe zeigt, dass lebendige Volksmusik, neu komponiert oder auch überkommen, durch Virtuosität und akademische Ausbildung nur gewinnt" (frei nach Carl Eric Lundgaard, der Autorität in praktischer dänischer Volksmusik).

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